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Respekt und Korruption

Bei der Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land will die Mannschaft von Südkorea endlich den ersten WM-Sieg überhaupt landen. Mit Guus Hiddink soll dafür ausgerechnet ein Holländer sorgen

„Messias“ Hiddink ist in der Gunst der Koreaner schon vor der WM weit gefallen

von MARTIN HÄGELE

Die Anrufe kamen immer zwischen drei und vier Uhr morgens. „Steh auf, lass uns Fußball spielen“, hieß es am anderen Ende der Leitung. Dann fuhr Cha Bum Kun in die Nacht von Seoul hinaus, zum Treffpunkt in einem Stadion, das Dr. Mong Joon Chung ihm genannt hatte. Es waren herrliche Fußballspiele im Morgengrauen, wenn die koreanische Metropole schlief. Und Asiens Fußballer des Jahrhunderts hatte beim Frühsport ähnlichen Spaß wie der Sohn und Jungmanager vom größten Wirtschaftsimperium des Landes. Hyundai galt als Anführer der Chaebols, ein Begriff, der zu Beginn der Neunziger in Südkorea geprägt wurde für ineinander verflochtene Firmen und Konzerne, deren Strukturen, Finanzen und Beziehungen kaum ein Mensch überschauen kann.

Für Dr. Mong Joon Chung, Absolvent einer amerikanischen Elite-Uni, war Fußball nicht nur Hobby, sondern auch Vehikel einer Karriere, die ihn einmal zum ersten Präsidenten des wiedervereinigten Koreas machen soll. Diesen Traum hatte schon sein Vater geträumt und in diesem Zusammenhang die Olympischen Spiele 1988 nach Seoul geholt. Um die Gunst der Funktionäre zu gewinnen, hatte Chung Senior damals ein halbes Bordell zum Kongress nach Baden-Baden einfliegen lassen, die Vorfreude der älteren Herrschaften auf noch mehr Massagen und erotische Nächte im Tigerstaat offenbarte sich dann beim deutlichen Sieg des Außenseiters über Favorit Nagoya.

Der junge Chung zeigt auf diesem Gebiet noch weniger Skrupel als sein alter Herr. Journalisten, die den Aufstieg des jungen koreanischen Fußballchefs zum Fifa-Vizepräsidenten Asiens wohlwollend begleiteten, erfreuten sich nicht nur fernöstlicher Büffets und Banketts, die Tischdamen leisteten üblicherweise auch im Bett Gesellschaft. Weit generöser wurde ein Teil der 13 AFC-Delegierten abgefunden, die Chung 1993 bei zwei Gegenstimmen zum einflussreichsten Fußballmacher ihres Kontinents gewählt hatten. Rukmar Shumsher Rana aus Kathmandu etwa hat für sein Bekenntnis zum smarten Autobauer die Generalvertretung von Hyundai für Nepal erhalten. Erst vor wenigen Wochen hat Chungs einstiger Rivale seine Ohnmacht in der Zeitung Asahi geschildert. „In Asien ist es üblich, Stimmen zu kaufen“, so Tadao Murata, „auch mit den besten Argumenten und der allergrößten Leidenschaft für eine Sache hast du dagegen keine Chance.“

Wer auf diesem Kontinent herrschen will, der darf nicht verlieren. Weshalb auch die ursprüngliche Freundschaft zwischen dem ehrgeizigen Sportführer und dem Star des bevölkerungsreichsten Erdteils gescheitert ist. Chung hatte geglaubt, der junge Cha, den er zum Nationaltrainer gemacht hatte, könnte seiner Nation endlich den ersten Sieg bei einer WM bringen; einen Erfolg, auf den Südkorea seit 1954 und schon fünf Turniere lang wartet. Doch ein 1:3 gegen Mexiko und ein 0:5 gegen Holland bedeutete Chung und Gefolge Schmach genug, um ihren berühmtesten Fußballer bereits nach dem zweiten Gruppen-Spiel bei der WM in Frankreich vor vier Jahren zu feuern. Am Flughafen von Seoul wartete nicht einmal mehr ein Chauffeur des Verbandes – und als Cha auch noch in einem Interview einen Korruptionsskandal aus dem Jugendfußball-Bereich aufdeckte, war er endgültig zur Persona non grata geworden. Man entzog ihm die Arbeitserlaubnis als Trainer, was einer modernden Verbannung gleichkam.

Wahrscheinlich würde Cha noch heute die Mannschaft der chinesischen Grenzstadt Ghuangzou trainieren und er hätte wohl niemals mehr die Reisfelder seiner Heimat gesehen – wenn nicht die WM nach Südkorea und im Vorfeld automatisch die Fragen nach Koreas Sportlegende gekommen wären. Vor zwei Jahren wurde Cha also wieder in Seouls Gesellschaft integriert, seither repräsentiert er Adidas, leitet Talentschulen und kommentiert Fußballspiele fürs staatliche Fernsehen. Der Mann, der einst in der Bundesliga Nächstenliebe gepredigt und selbst denen verziehen hatte, die dem fixen Stürmer die Knochen polierten, ließ bislang keinen bösen oder gar bitteren Kommentar über seine Exil verlauten.

Cha wird auch niemals Kritik an seinem Nachfolger äußern. Diesen Posten hat mit Guus Hiddink ausgerechnet jener Trainer bekommen, dessen holländische Asse für Chas Rauswurf sorgten. Schon damals hatte Hiddink Chung imponiert, im Laufe der Zeit fixierte sich der Koreaner so auf seinen Wunschtrainer, dass dessen Zusage 18 Monate vor dem Turnier kaum mehr überraschte. Ob man das Ganze nun als eines jener Angebote bezeichnet, die man nicht ablehnen kann, oder doch eher als das höchstbezahlte Himmelfahrtskommando in der Geschichte der Fußball-Nationalmannschaften, obliegt dem Betrachter. Sollte Hiddink tatsächlich die Vorgabe seines Arbeitgebers sowie einer ganzen Nation erfüllen und sein Team auch nach der Vorrunde noch im Wettbewerb sein, würde er wohl um eine weitere Million reicher im Juli in Schiphol landen.

Der Boss der heimlichen Weltmeister, wie sich Holland vor vier Jahren selbst gefeiert hat, der anschließend Real Madrid zum Weltpokalsieg führte, hat schnell gemerkt, woran es seinen neuen Mitarbeitern am meisten fehlt: an Selbstkritik und Realitätssinn. Denn jeder, der in der K-League ein paar Tore schießt oder mit einigen Dribblings glänzt, wird von den nationalen Medien sofort in den Rang eines Superstars befördert. Und wer solche Meinungsmacher mit der Wahrheit konfrontiert, macht sich keine Freunde. Vom Korean Herald als „Messias“ ins Amt eingeführt, fielen die Werte des holländischen Fußballlehrers im Rahmen eines monatlichen Politbarometers: Von über 80 Prozent Zustimmung am Anfang zu unter 30 Prozent nach der 0:5-Niederlage gegen Weltmeister Frankreich vor einem Jahr. Momentan steht eine knappe Mehrheit (54,8) hinter Hiddink, der große Rest verdammt den Fremden, weil er Koreas Fußballtradition verraten habe.

Koreas Fußballtradition? Oder gar Koreas Fußballkultur? Objektiv betrachtet handelt es sich dabei um recht fragwürdige sportliche Parameter. Viel mehr spricht dafür, dass der Fußball in diesem Lande gerade wegen hausgemachter Probleme keinen entscheidenden Satz macht. Der frühere Bondscoach hat zum Beispiel eine gemischte Tischordnung eingeführt und angeordnet, dass die jungen Spieler die Routiniers nicht mehr siezen müssen. Obwohl die meisten Vertreter der älteren Generation dies gut finden, gibt es immer noch einige Altvordere im Kader, die von ihren Kollegen mehr Distanz verlangen und „den Respekt, den unsere Landeskultur gebietet“, wie es der dreimalige WM-Veteran Hong Myong-bo ausdrückt.

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